Interview mit Erwin Wurm
Erwin Wurm gilt als bedeutendster zeitgenössischer Künstler Österreichs. Seine Arbeiten sind in den renommiertesten Museen und Galerien der Welt ausgestellt worden, darunter dem Museum of Modern Art (MoMA) in New York oder der Tate Modern in London. Nun hat er eine neue Skulpturenserie geschaffen: „Bad People“ ist in Zusammenarbeit mit der Academy of Ceramics Gmunden (AoCG) entstanden und ab sofort in der Gmundner Keramik Manufaktur zu sehen. Bei der Ausstellung handelt es sich um das jüngste Projekt der AoCG als Plattform für Künstlerinnen und Künstler, die 2022 von Gmundner gemeinsam mit der OÖ Landes-Kultur GmbH ins Leben gerufen wurde. Im Fokus steht dabei der Austausch der ältesten Keramikmanufaktur Europas mit Kunstschaffenden von internationalem Rang – zuletzt etwa mit dem chinesischen Künstler Ai Weiwei.
Im Interview spricht Erwin Wurm über Gesichter und Köpfe, Ton als Gestaltungsmedium und warum es manchmal hilft, durch die Brille des Absurden zu blicken.
Herr Wurm, für Ihre neuen Keramikplastiken haben Sie paradoxe Menschendarstellungen geschaffen: verfremdete Nasen, Ohren, Münder und Gesichter. Welche Idee haben Sie dabei verfolgt, und warum haben wir es mit „Bad People“, also schlechten Menschen zu tun?
Im Zentrum dieser neuen Arbeiten stehen vor allem Vorstellungen von Menschen – genauer gesagt: von Köpfen. Ich experimentiere mit dem Prototyp des Kopfes, einer meist runden, voluminösen Form, durchbrochen von Öffnungen. Augen, Ohren, Nase, Mund – diese charakteristischen Elemente bilden dabei den Ausgangspunkt. Häufig ergänzt durch einen Hals, werden sie von mir neu kontextualisiert, verzerrt und deformiert. So entstehen mitunter physiognomische Anklänge, manchmal jedoch auch abstrakte Gebilde, die sich der eindeutigen Zuordnung entziehen. Es ist ein Spiel mit Wahrnehmung und Erwartung: Was genau macht einen Kopf aus? Was erscheint uns vertraut, was fremd – und was möglicherweise sogar grotesk? Konkrete Porträts oder spezifische Darstellungen einzelner Menschen verfolge ich nicht. Und doch zielt die Arbeit auf etwas zutiefst Menschliches ab. Ob es sich bei den Ergebnissen tatsächlich um „Bad People“ handelt? Da bin ich mir selbst nicht ganz sicher. Der Titel diente eher als vager, assoziativer Rahmen. Der eigentliche Schaffensprozess hingegen war offen, spielerisch und in ständiger Bewegung.
Sie haben dafür Keramik als Mittel Ihres künstlerischen Ausdrucks genutzt. Was macht Ton als Gestaltungsmedium für Sie aus?
Wenn man mit Ton arbeitet, geschieht etwas ganz Erstaunliches: Man begibt sich zurück an den Anfang der Bildhauerei. Mit beiden Händen im Lehm zu stecken, hat mich sehr fasziniert. Zu spüren, wie er weich zwischen den Fingern klebt, wie man damit Volumen aufbauen, addieren und wieder subtrahieren kann. Auf diese Weise lassen sich elementare bildhauerische Prinzipien untersuchen – in einem fortwährenden Wechselspiel zwischen Intellekt und manueller Tätigkeit. Mal lenkt der Kopf die Bewegung der Hände, mal übernehmen die Hände die Führung, und der Kopf versucht nachzukommen. Es war ein schwer zu beschreibender, hochinteressanter Prozess, der mich weggeführt hat von den üblichen Abläufen meiner künstlerischen Arbeit. Dort geht es ja meist darum, konkrete Vorstellungen und Ideen in Materialien umzusetzen, samt der Herausforderungen, die das mit sich bringt. Beim Arbeiten mit Ton trat hingegen etwas anderes in den Vordergrund: eine Unmittelbarkeit, Direktheit, oft auch Experimentelles, geleitet allein vom Material selbst. Man befindet sich plötzlich dort, wo man als Kind einmal begonnen hat: zurück in der Sandkiste, wo aus feuchtem Sand Figuren, Fantasien und Formen entstanden. Das ist es letztlich, was ich hier gemacht habe: Ich bin zurück an den Anfang gegangen und habe gespielt.
Gab es bestimmte Vorbilder oder Einflüsse, die für Sie in Auseinandersetzung mit Keramik und Ton wichtig waren?
Tatsächlich wollte ich eher unorthodox oder vielleicht sogar naiv an diese Dinge herangehen. Anders gesagt: Es ging mir darum, mit dem Ton etwas zu formen, was man damit normalerweise eher nicht macht. Wobei natürlich immer die Möglichkeit besteht, sich doch unbewusst in eine künstlerische Kontinuität zu stellen. Ich weiß es selbst nicht, und das ist das Schöne daran. Wobei, eine Sache hat mich vermutlich schon bei der Arbeit beeinflusst …
Woran denken Sie da genau?
Zuletzt habe ich mich viel mit frühzeitlichen Artefakten auseinandergesetzt, also der Art und Weise, wie unsere Vorfahren sich ausgedrückt haben. Allein die Werkzeuge, die sie dabei nutzten, haben ja etwas ungeheuer Dringliches und Unbedingtes, Faustkeile oder Knochennadeln beispielsweise. Man versteht: Hier liegen die Anfänge, hier beginnt der Mensch erstmals, zu gestalten. Das war es auch, was mich während der Arbeit an „Bad People“ so faszinierte: diese Rückkehr zum Lehm – archaisch, elementar, beinahe kindlich.
Welche Rolle spielte der handwerkliche Aspekt bei diesem Prozess? Sie haben Ihr Projekt ja in der Gmundner Keramik Manufaktur realisiert.
Sagen wir so: Was das Handwerk angeht, war mir persönlich lediglich wichtig, dass das, was ich geschaffen habe, die hohe Temperatur des Brands aushält. Und zwar ohne, dass Details kaputt oder verloren gehen. Damit das reibungslos gelingt, braucht es Erfahrung, Sorgfalt – und Unterstützung. In meinem Fall kam sie von den großartigen Menschen vor Ort bei Gmundner Keramik, die mich mit ihrem Wissen begleitet und unterstützt haben. Die Arbeit mit Ton ist ja ein aufwendiger Prozess. Nachdem ich meine Skulpturen entwickelt habe, musste zunächst alles getrocknet werden. Erst dann begann der nächste Schritt: die Glasur. Dabei wird ein verdünntes Farbpulver aufgetragen, das beim Brand schmilzt und sich wie ein Film über das gesamte Objekt legt. Erst, wenn dieser Vorgang abgeschlossen ist, bekommen die Objekte ihre eigentliche, richtige Farbe. Beim Auftragen ist der Farbton also ein ganz anderer. Das hatte beim Bemalen oft etwas Irritierendes. Ich musste gewissermaßen wie bei einem Fotonegativ denken. Daraus resultierte immer auch ein Moment der Unsicherheit: ob alles so funktioniert, wie ich es mir vorgestellt habe.
„Bad People“ greift ein charakteristisches Element ihrer Kunst auf: Sie verformen Elemente unseres Alltags – Häuser zum Beispiel oder Autos – und ermöglichen so einen neuen Blick darauf. Viele finden das lustig. Sie eigentlich auch?
Darin liegt ein gewisses Missverständnis: Ich operiere ja nicht mit Humor. Ich bin kein Witzeerzähler oder Komiker. Was mich interessiert, ist das Paradoxe und das Absurde. Ergänzt oder verringert man etwa Volumen, können sich dadurch Inhalte verändern und Bedeutungsebenen verschieben. Auf diese Weise lassen sich mit den Mitteln der Bildhauerei Fragen an unsere Gegenwart stellen. Und zwar besonders an das, was uns unmittelbar umgibt, seien es nun Häuser, Autos, Essiggurken – oder eben Köpfe und Gesichter. Etwas Vertrautes, das uns in veränderter Form begegnet, mag zunächst witzig wirken. Aber mir geht es immer um den Moment, der darauffolgt: Die Irritation, die dazu führen kann, zu hinterfragen, was wir für einen selbstverständlichen Teil unserer Realität halten. Ich denke, wenn man durch die Brille des Absurden blickt, sieht man die Welt oft klarer.